1. Künzel und Braid

James Braid war sicherlich einer der bedeutendsten Pioniere der Hypnose. Die erste „moderne“ wissenschaftliche Theorie der Hypnose geht auf den schottischen Arzt zurück, und offenbar auch die hypnotische Suggestiv-Therapie, wie J. M. Bramwell darlegt. Nun hat sich herausgestellt, daß Braids Bedeutung für die Hypnose vielleicht sogar noch weit größer sein könnte als bisher vermutet. Der ehem. Showhypnotiseur Wolfgang Künzel, der unter dem Künstlernamen „Alexander Cain“ sein Wesen treibt, mutmaßt jedenfalls, daß er selbst – Künzel – nichts anderes als eine Reinkarnation Braids sei.

Doch wie kommt James Braid zu dieser Ehre?

Zum einen wäre da natürlich die – ähem – „frappierende“ optische Ähnlichkeit der beiden Hypnose-Giganten, auf die Künzel in seinem Blog-Eintrag abhebt.

Künzel selbst bringt jedoch einen Einwand gegen vermeintliche „frühere Leben“ vor, oder jedenfalls gegen die Erinnerung an solche: Nämlich daß bei Regressionen erstaunlich viele Personen dereinst „Prominente“ gewesen sein wollen. Doch Künzel weiß Rat: „Die Wahrscheinlichkeit eine Person des öffentlichen Lebens gewesen zu sein, ist ja grundsätzlich genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Reisbauer in China war.“

Genau. Und es ist genau so wahrscheinlich, daß ich einst Kaiser Trajan war wie es wahrscheinlich ist, daß ich einer seiner Millionen Untertanen war. Was unser Reinkarnations-„Experte“ Künzel in seiner kruden Argumentation vergißt: Es existierten und existieren zu allen Zeiten exorbitant mehr Normalsterbliche als herausgehobene Persönlichkeiten. Daher ist eben auch „die Wahrscheinlichkeit, eine Person des öffentlichen Lebens gewesen zu sein“, nicht genau so groß wie die, als unauffälliger Durchschnittsmensch sein Leben gefristet zu haben; sondern sie ist schier unendlich geringer.

So etwas hält einen Künzel aber natürlich nicht auf: Er habe nämlich fleißig recherchiert und herausgefunden, daß Braid Schotte war, läßt der Arnstorfer Ex-Showhypnotiseur uns wissen. Und er selbst, Künzel, habe auf einem England-Schulaustausch die englische Sprache mit starkem schottischem Dialekt gesprochen, so daß alle Engländer staunten, daß er in Wahrheit Deutscher war! Ein Indiz! So sieht es Künzel jedenfalls. (Nun, ich durfte einen gebürtigen Bayer kennenlernen, den alle Engländer für einen Waliser hielten. Aber auf die Idee, daß seine Aussprache – wenn sie denn wirklich so auffällig war – einfach von seinem regionalen bayerischen Dialekt herrühren mochte, scheint Künzel gar nicht erst zu kommen. Das wäre dann wohl auch zu banal.)

Eine weitere „erstaunliche“ Parallele zwischen dem ehemaligen Showhypnotiseur Künzel und dem großen Hypnose-Arzt Braid soll Künzels Faible für die Medizin sein. Künzel:

„James Braid war Chirurg und Augenarzt. Interessanterweise hat mich die Medizin, bzw. die Physiologie schon als Kind extrem interessiert. Naturwissenschaften waren mein Steckenpferd und auch schulisch war ich im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums.“

Beeindruckend, nicht wahr? Demnach hat dann wohl jeder naturwissenschaftlich Interessierte und erst recht jeder Arzt Grund zur Annahme, daß er mal James Braid war.

Nebenbei sei angemerkt, daß Künzel, der selbsternannte Liebhaber der Physiologie und Medizin, explizit behauptet, Medizin sei überhaupt keine Wissenschaft, sondern nur ein Glaube (Art. 62). Ob unser bester Hypnotiseur Deutschlands von eigenen Gnaden (Art. 17) und selbsternannter Beründer der deutschen Hypnoseforschung (Art. 2) nun aber aufgrund seiner sicherlich profunden medizinischen Kenntnisse oder anhand wissenschaftstheoretischer Reflexionen zu dieser seiner „Einsicht“ gelangt ist, hat uns Cain-Künzel leider noch nicht verraten.

Besonders beeindruckt ist Wolfgang Künzel aber natürlich wieder einmal von Wolfgang Künzel: der habe sich schon in der Kindheit für Hypnose interessiert und sie sich autodidaktisch beigebracht – also genau das getan, wofür er andere zu schelten pflegt. Denn andere haben gefälligst erst ein Seminar (bei ihm) zu machen, bevor sie hypnotisieren. Er, Künzel, habe schließlich auch erst seinen Führerschein gemacht, bevor er auf der Straße rumgefahren sei. Wir sehen schon, daß ein Hypnose-Autodidakt in Künzels Augen bewundernswert ist – wenn er denn Wolfgang Künzel heißt!

Was den Ex-Bühnenhypnotiseur mit dem großen Ego allerdings zu irritieren scheint, ist die Flexibilität und Innovationskraft von Braid:

„Laut Wikipedia soll Braid 1841 das erste Mal mit dem Hypnotiseur Lafontaine in Kontakt gekommen sein. Ungefähr 1 1/2  Jahre später hätte er das vorgenannte Werk veröffentlicht. Das ist doch etwas ungewöhnlich. Es erinnert mich zwar an viele Schüler, die nach dem Grundseminar Hypnose bei mir eine Hypnoseschule eröffnen und so zum Boom der Hypnoseschulen in Deutschland beitragen (eine Homepage kann heute jeder auf einen Server laden…), jedoch schätze ich Braid aufgrund des Inhalts etwas anders ein. Denn allein die vielen Beispiele aus seiner praktischen Arbeit UND gleichzeitig die völlig andere Technik, also der Fixationsmethode[…], lassen mich sehr zweifeln, ob diese Informationen so richtig sind. Hier ist auf jeden Fall noch Bedarf der Nachprüfung.“

Typisch Künzel, der der Konkurrenz im Vorbeigehen gleich mal „elegant“ einen kleinen Seitenhieb verpaßt; aber wenden wir uns dem Inhalt zu. Für Herrn Künzel besteht vielleicht „Klärungsbedarf“; offenbar kann er nicht recht fassen, wie jemand in kurzer Zeit eine ganz eigene Methodik entwickelt.

Braid, ein ausgesprochen origineller Denker und guter Beobachter, hat jedoch mehrfach seine Ansichten korrigiert und insgesamt mindestens drei Theorien der Hypnose entwickelt, wobei seine letzte offenbar in die Richtung moderner Non-State-Theorien geht, siehe HIER. Wie etwa auch Bernheim war er offenbar durchaus in der Lage, auch aus wenig Erfahrung viel und schnell zu lernen.

Es verwundert nicht, daß Künzel das nicht recht begreifen mag, denn ganz offensichtlich verhält es sich bei ihm selbst etwas anders: Er scheint nach wie vor einem relativ archaischen  Hypnose-Verständnis anzuhängen und seine eigenen Ansichten kaum je wesentlich verändert zu haben. Zwar hat er einige Erfahrung – es bleibt aber die Frage, was jemand aus der Erfahrung macht. Der eine macht aus wenig Erfahrung viel, der andere aus viel Erfahrung wenig; Künzel gehört wohl ziemlich eindeutig in die zweite Kategorie.

„Dann habe ich mir die Mühe gemacht und ein einen großen Teil seines Werkes ‚Neurypnology – or the rationale of the nervous sleep considered in relation with animal magnetism‘ gelesen.“

Dann hat Künzel sich offensichtlich zu wenig Mühe gemacht und zu wenig gelesen, oder er hat zu wenig verstanden – seinem angeborenen Schottisch-Englisch zum Trotz: Braid betont in eben diesem Buch, daß niemand in Hypnose etwas tut, was er sonst nicht auch täte, und daß Hypnose die Moral eher anhebt als abschwächt. Wer die Auffassung von Braid vertritt, der ist für Künzel normalerweise ein Lügner oder „ahnungslos“ und handelt nach seiner Überzeugung „verwerflich“. (Bei genauerem Hinsehen zeigt sich übrigens, daß und warum Künzels Argumente zum Thema „Verbrechen“ ins Leere gehen; Art. 60, 61 und 73.)

Scheinbar hat der gute „Braid“ während seiner Rotation in der Reinkarnationsschleife einiges von seinem Wissen und auch einige andere Qualitäten nicht zu bewahren vermocht. Mit der filigranen Anmut einer wilden Elefantenherde trampelt er nun in seinem neuen Leben in Gestalt von Wolfgang Künzel auf der Hypnose herum und stampft alles ein, was nicht in sein festgefahrenes, holzschnittartiges Denken paßt.

Als ich einen Kollegen auf Künzels Blog-Eintrag aufmerksam machte, meinte dieser wörtlich: „Braid würde im Grabe rotieren.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Doch Künzel macht uns auch Hoffnung:

„Alles in allem ist das furchtbar spannend. Wer weiß was noch herauskommt? Ich sollte einfach einmal die Orte in Schottland besuchen. Bis dahin finde ich es witzig und interessant – ohne es zu werten.“

Na. dann schauen Sie sich mal die Orte in Schottland an, Herr Künzel. In aller Ruhe. Und lassen Sie sich dabei Zeit. Viel Zeit. ;- )

Nachtrag: Dem Kommentar eines aufmerksamem Lesers verdanken wir die Einsicht, daß Künzel offenbar gar keine ernsthaften Zweifel daran hat, daß er einmal James Braid war, wie er vorgibt, sondern sich dessen sicher ist. NACHTRAG ENDE

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