47. Künzels Hypnose-(Un)verständnis

Betrachten wir einmal das Hypnose-Verständnis von Wolfgang Künzel aka Alexander Cain, dem Ex-Showhypnotiseur, der sich immerhin zugute hält, die Hypnoseforschung in Deutschland überhaupt erst begründet zu haben. Diese Anstrengung lohnt sich, denn das Resultat wird uns dann auch in anderen Zusammenhängen nutzen; so scheinen etwa auch viele Vorurteile Künzels zur Ericksonschen Hypnose wesentlich auf seiner falschen Sichtweise der Hypnose im Allgemeinen zu basieren, neben seiner vollständigen Unkenntnis der Ericksonschen Hypnose im Besonderen natürlich (Art. 3) .

Zuvor noch eine kleine Anmerkung: Anders als Künzel verlange ich nicht, daß alle Leser mir jedes Wort stets sofort und bedingungslos zu glauben haben, ohne daß sie auch nur ein einziges Argument präsentiert bekämen. Aus diesem Grund führe ich eine Reihe von Argumenten und auch Quellen an (die man lesen kann, aber nicht lesen muss). Die Quellen sind entweder wissenschaftliche Texte, die meine Aussagen belegen, oder Texte, die auf wissenschaftlicher Literatur basieren und sie namentlich nennen. (Für Interessierte werde ich  jeweils anmerken, ob die entsprechenden Quellen leicht lesbar sind oder nicht.)

Künzels Modell

Damit erst gar nicht der Verdacht aufkommt, daß ich Künzels Sichtweise verzerrt, übertrieben oder gar karikierend darstellen würde, um sie besser angreifen zu können, werde ich den Arnstorfer Ex-Showhypnotiseur erst einmal selbst zu Worte kommen lassen. Daß ich nichts „verfälsche“, kann man zudem leicht nachprüfen, indem man sich genauer mit Künzelschen Texten beschäftigt.  (Es sei hier etwa auch ausdrücklich aus sein Buch „Schlaf!“ verwiesen (Art. 22).)

Künzel sagt über den normalen Wachzustand: „Das Bewusstsein filtert alle Eindrücke“.

Bei der Hypnose sei das ganz anders, führt Künzel bei den „Stadien der Hypnose“ aus:

„Hypnose stellt einen Zustand des eingeschränkten Bewusstseins dar. Dadurch wird direkter Zugriff auf das Unterbewusstsein ermöglicht… Das Unterbewusstsein hat auch kaum mehr Entscheidungs- und Kritikfähigkeit, da diese vom Bewusstsein zur Verfügung gestellt werden. Wenn dieses eingeschränkt ist und der Kontakt zum Unterbewusstsein hergestellt ist, spricht man von Hypnose. „

Unter „Tiefe(r) Hypnose“ heißt es ebenda: „Das Bewusstsein ist weitestgehend eingeschränkt. Die Kritikfähigkeit geht gegen Null.“ Und: „Das Bewusstsein ist extrem eingeschränkt.“

Ergänzend heißt es andernorts:

„In einer sehr tiefen Trance jedoch ist der Filter ‚Bewusstsein‘ so weit eingeschränkt, dass für den Probanden negative Suggestionen ebenfalls wirksam werden können. Wichtig ist ja nur, dass die Suggestion ohne Widerspruch durch das Bewusstsein an das Unterbewusstsein gelangt. Dort wird sie ausgeführt. Genau wie der Computer ohne Wenn und Aber die Festplatte formatiert, wenn ihm der entsprechende Code zur Ausführung in den Speicher geladen wird. Die CPU eines Rechners überprüft auch nicht den Sinn oder Unsinn der Befehle – das tut das Betriebssystem. Wenn man das umgeht, ist ebenfalls alles möglich – bis hin zum Hardwareschaden! Es klingt zwar paradox, aber in dieser Hinsicht ist der Mensch und der Computer vergleichbar.“

Auch schreibt Künzel:

„Die klinische Hypnose arbeitet mit sehr sehr leichten Trancezuständen. Somnambule Zustände in denen Gedächtnisverlust eintreten kann, werden vermieden oder durch die verwendete Induktion gleich gar nicht erreicht. Oft wird mit indirekten Methoden gearbeitet, bei denen das Bewusstsein manipuliert wird. Mit der Manipulation des Bewusstseins über Bilder und Gefühle wird das Unterbewusstsein indirekt angesprochen. Das ist sehr zeitaufwändig und der Proband wird in der Regel behaupten, gar nicht in Hypnose gewesen zu sein.“

Und er schreibt auch: „…wie der Name schon sagt, ist eine Selbsthypnose etwas was Du selbst tust. Du benötigst also eine gehörige Portion Wachbewusstsein um das zu steuern. Daher ist eine Selbsthypnose in der Regel bis zur mittleren Trancetiefe möglich. Darüber hinaus wäre zu wenig Wachbewusstsein zur Steuerung vorhanden. Eine Tiefenselbsthypnose wäre wie ein Schiff mit schlafendem Steuermann. „

Fassen wir Künzels zentrale Thesen wie folgt zusammen:

1. (Wach)bewusstsein und Unterbewusstsein sind zwei grundlegend distinkte und seperate Systeme, die sich strikt trennen lassen; so kann man dann isoliert entweder auf das Bewusstsein oder das Unterbewusstsein einwirken.

2. Alle Informationen gelangen normalerweise zuerst in das System namens „Bewusstsein“. Dieses selektiert sie vor und lässt dann einige Informationen „ins Bewusstsein“ durch  und andere nicht.

3. Die „Kritikfähigkeit“ ist eine Eigenschaft alleine des Bewusstseins.

4.  Bei der (tiefen) Hypnose wird das Bewusstsein „weitestgehend“ und „extrem“ eingeschränkt, also wohl fast schon ausgeschaltet.

5. Der (tief) Hypnotisierte ist daher auch nicht mehr „kritikfähig“, denn die „Kritikfähigkeit“ ist eine Eigenschaft des Bewusstseins; und dieses ist in der (tiefen) Hypnose ja weitestgehend nicht mehr existent.

6. Deswegen kann man dann auch „das Unterbewusstsein“ direkt beeinflussen, weil ja der vorselektierende Filter des Bewusstseins mit seiner gewissermaßen „entfernt“ wurde.

7. Das Bewusstsein arbeitet bei der tieferen Hypnose nicht mehr aktiv mit (etwa durch Imagination und Konzentration), weil es eben weitestgehend „eingeschränkt“ ist; es bleibt komplett passiv.

Wir wollen diese Thesen nun sukzessive untersuchen, wenn auch nicht ganz in der Reihenfolge, in der ich sie gerade summiert habe.

Hypnose als (Prä)koma?

Daß Hypnose auf einer Einschränkung des „kritischen Bewusstseins“ beruhe, wird ja immer wieder gesagt. Aber Künzel geht da offenbar noch viel weiter: Bei ihm geht es nicht nur um die bewusste Kritikfähigkeit, sondern um das Bewusstsein selbst.

Wenn man Künzel so reden hört (bzw. seine Texte liest), dann muss man zum Eindruck gelangen, daß der Hypnotisierte sich wohl in einer Art Prä-Koma befindet. Es heißt ja, daß  „das Bewusstsein“ des hypnotischen Subjekts in tiefer Trance  „weitestgehend“ und „extrem“ eingeschränkt sei. Viel an Bewusstsein ist also wohl nicht mehr vorhanden.

Und wie die Grafik auf Künzels Seite mit den Hypnose-Stadien deutlich macht, ist damit offenbar auch keineswegs gemeint, daß die bewusste Aufmerksamkeit einfach besonders fokussiert wäre, aber das Bewusstsein weiterhin vorhanden. Denn der Balken, der „das Bewusstsein“ darstellen soll, wird vom Wachzustand über die leichte und mittlere bis hin zur tiefen Hypnose immer kleiner und ist am Ende wirklich sehr dürftig.

Und auch die Metapher vom „schlafenden Steuermann“ liegt ganz auf dieser Linie und spricht für sich, ebenso die Bemerkung, daß man keine „tiefe Selbsthypnose“ erleben könne, weil eben nicht mehr genug „Wachbewusstsein“ zur Selbststeuerung vorhanden sei.

Nein, es ist ziemlich klar, wie Künzel sich die (tiefe) Hypnose vorstellt: Als einen Zustand, bei dem das Bewusstsein kaum noch vorhanden ist,  vergleichbar dem Präkoma.

Ein solches Verständnis rührt noch von der Zeit her, als man Hypnose für eine Form des Schlafes hielt. Da dachte man dann, daß der Hypnotisierte ein „Schläfer“ sei. Und je „tiefer“ der vermeintliche  „hypnotische Schlaf“ war, desto „eingeschränkter“ war logischerweise das Bewusstsein. Als Indiz für diese Sichtweise fasste man die spontane posthypnotische Amnesie auf: Wenn jemand schläft oder sonstwie bewusstlos ist, erinnert er sich naturgemäß auch nicht mehr an die entsprechenden Ereignisse!

Künzel ist nun genau hier stehengeblieben. Er denkt im Grunde ganz genau in diesem Stil, bis auf die Ausnahme, daß er nicht von „Schlaf“, sondern nur vom „eingeschränkten Bewusstsein“ spricht; das kommt aber ziemlich auf dasselbe hinaus.

Irgendwann hat man dann aber mal gemerkt, daß solche Vorstellungen falsch sind und Hypnose nichts mit Schlaf oder Bewusstlosigkeit zu tun hat. (Übrigens völlig unabhängig von Erickson.) Dies lässt sich auf vielerlei Weise aufzeigen, beispielswiese durch die Messung der Hirnströme mittels EEG; aber allein schon die Tatsache, daß eine posthypnotische Amnesie praktisch stets behebbar ist, und auch, daß die Erinnerung in den Folge-Sitzungen präsent ist, zeigt, daß der Zustand der Hypnose ein bewusster ist.

Und inzwischen sollte eigentlich allgemein bekannt sein, daß Hypnose keine Form der (Fast)bewusstlosigkeit ist. Nahezu jede Hypnose-Einführung, selbst eine von eher bescheidener Qualität, wird diesen Punkt hervorheben. Nur beim Künzel ist das offenbar bis heute noch nicht angekommen!

Gerade bei der (sehr tiefen) Hypnose – „tief“ gemessen am Erleben – kommt es übrigens durchaus oftmals zu faszinierenden Veränderungen des subjektiven Bewusstseins, wenn der Hypnotisierte Zeit und Ruhe dafür hat. Die Erfahrungen erinnern an Meditation, mystische Erlebnisse, psychdelische Drogen, schamanische Reisen, luzides Träumen und ähnliche Phänomene. Einige Probanden berichten beispielsweise von spontan auftauchenden Lichtblitzen oder tiefer Dunkelheit, dem völligen Stillstehen der Zeit, dem Gefühl eines tieferen Verstehens oder gar Erfahrungen einer All-Einheit.  Die Hypnotisierten haben dabei typischerweise das Gefühl, die besonderen Erfahrungen nicht erzeugen, wohl aber beeinflussen und beenden zu können. Genauere Untersuchungen verdanken wir insbesondere Cardeña. (Vorsicht, der nachfolgende Text ist englisch und wissenschaftlich; aber siehe HIER).

Bei der Hypnose ist das bewusste Erleben also oft verändert, und es geht oft mit einer besonderen Emotionalität oder Tiefe einher; aber „das Bewusstsein“ ist nicht „weg“ oder „nahezu weg“, wie Künzel das glaubt.

Und wenn durch den Hypnotiseur eine bestimmte „Richtung“ vorgegeben wird, dann ist die bewusste Aufmerksamkeit des „Subjekts“ übrigens oftmals auf das Ziel hin deutlich konzentriert oder fokussiert, und es betsteht ein intensives Absorbiertsein.

Allein schon deswegen befindet sich das Bewusstsein nicht im präkomatösen Zustand: Herr Künzel mag eine Ausnahme darstellen, aber ein normal-sterblicher Mensch kann sich während eines Fast-Komas, bei dem er kaum noch Bewusstsein besitzt, üblicherweise nicht mehr sonderlich gut konzentrieren oder intensiv von einer Erfahrung absorbiert sein!

Zwar ist eine Fokussierung der bewussten Aufmerksamkeit genau  genommen für die Hypnose nicht strikt notwendig; aber wenn man Hypnose als Zustand beschreiben will, dann passen fokussierte Aufmerksamkeit und Absorbiertsein für die „typische Hypnose“ immer noch viel besser als die Quasi-Bewusstlosigkeit nach Wolfgang Künzel!

Wenn man so will, könnte man vielleicht am ehesten sagen, daß bei der Hypnose Bewusstsein und Unterbewusstsein gewöhnlich „an einem Strang“ ziehen.

Das alles ist nun nicht wirklich die  große Neuigkeit, sondern eigentlich hinlänglich bekannt; das gebe ich gerne zu. Dem selbsternannten Begründer der Hypnoseforschung  hat es aber bis heute wohl noch keiner gesagt.

Künzel vs. Braid

Betrachten wir einmal den Unterschied von James Braid und seiner selbsternannten Reinkarnation (Art. 1) namens Wolfgang Künzel:

Anfangs hatte Braid den hypnotischen Zustand als einen sog. „nervösen Schlaf“ aufgefasst. Der mittlere Braid hingegen beschrieb Hypnose als „Monoideismus“, als Konzentration auf nur eine einzige Idee, nachdem er erkannt hatte, das Hypnose nichts mit Schlaf zu tun hat. Später realisierte Braid dann, daß Hypnotisierte sich auch auf mehrere Gedanken synchron konzentrieren können und die Monoideismus-Definition daher nicht ganz stimmt.

Braid hatte eine Entwicklung mitgemacht, die eine ganz wichtige Eigenschaft voraussetzt: Lernfähigkeit.

„Braids Theorien änderten sich mit seinem zunehmenden Wissen…In der ersten erklärte er Hypnose fast nur von einem physiologischen Standpunkt aus; in der zweiten betrachtete er sie als einen unwillkürlichen Monoideismus und die Konzentration der Aufmerksamkeit. Seine dritte Theorie unterschied sich von diesen beiden. In ihr erkannte er, daß Wille und Vernunft unbeeinträchtigt bleiben, und daß die Aufmerksamkeit simultan auf mehr als nur einen Punkt gerichtet werden kann. Zugleich erkannte er immer klarer, daß der Zustand wesentlich ein bewusster war, und dass die Erinnerungen, die beim Aufwecken verloren waren, stets in einer nachfolgenden Hypnose wieder hergestellt werden können.“ Quelle (Englisch und mittel leicht lesbar.)

Aber so weit wie Braid im 19. Jh. war, ist seine angebliche Reinkarnation selbst heute, im 21. Jh., leider noch nicht. Künzel ist nie bis zum späten Braid gekommen, aber offenbar auch noch nicht mal bis zum mittleren. Allenfalls befindet er auf der Stufe des frühen Braid, der Hypnose mit „Schlaf“ assoziierte – wenn überhaupt. Künzel ist horizontmäßig leider im tiefsten 19. Jh. stehengeblieben.

Jede neue Erkenntnis – auch wenn sie mit Erickson nicht das Allergeringste zu tun hat und schon lange zuvor stattfand – wird als ericksonianisch und damit angeblich irreführend verschrien.

Bewusstsein und Unterbewusstsein

Die Kritik an Künzels Konzeption muss bereits auf einer frühen Stufe ansetzen. Es fängt schon damit an, daß es „das“ Bewusstsein und „das“ Unterbewusstsein genau genommen gar nicht gibt.

Streng genommen gibt es nur den einen Menschen und seine Psyche. Es gibt nur den einen menschlichen Geist und seine kognitiven Prozesse. Viele Denkprozesse laufen unterbewusst ab, manche bewusst. Einige unbewusste Prozesse sind sehr einfach und funktionieren „automatisch“, andere sind intelligent und komplex.

Es ist also ein und dieselbe Person, die bewusst und unbewusst denkt, agiert und reagiert, wobei bewusste und unbewusste Prozesse in einander greifen.

Zudem ist das, was man in der kognitiven und Neuropsychologie unter „Unterbewusstsein“ versteht, nicht dasselbe, was man etwa in der Psychoanalyse mit diesem Begriff meint. Quelle (mittel leicht lesbar).

Nun ist es selbstredend der Fall, daß man bei der Hypnose gezielt versucht, insbesondere unbwusste Prozesse und  Muster zu beeinflussen. Das gilt übrigens für jede Form der Hypnose, auch die ericksonsche, auch wenn Künzel das aufgrund seiner vollkommenen Unwissenheit hinsichtlich der ericksonschen Hypnose offenbar nicht weiß.

Und natürlich redet man im Alltag oder bei Therapie oder Beratung von „dem Unterbewusstsein“, und das ist ja auch legitim und sinnvoll. Und zweifellos gibt es unbewusste Prozesse, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind (man denke an das Automatische Schreiben). Auch kann man das „Unterbewusstsein“, etwa bei einem therapeutischen Prozess, wie eine eigene Person ansprechen oder mit ihm kommunizieren. Aber das Unterbewusstsein als einheitliches und eigenständiges Wesen ist eine Metapher. Eine wirklich strikte Trennung von „bewusstem“ und „unbewusstem“ Anteil des Denkens ist nicht möglich. (Das wird im nächsten Kapitel noch deutlicher weden.)

Wenn Künzel recht hätte und Bewusstsein und Unterbewusstsein zwei seperate Systeme oder gar Quasi-Personen wären, könnte die Vorstellung Sinn machen, daß man beide völlig trennen kann und beispielsweise nur das Bewusstsein beeinflusst.

Aber da es nur den einen menschlichen Geist gibt, der teils bewusst und teils unbewusst operiert, ist Künzel Vorstellung falsch. Und sein ganzes restliches Modell, das zentral auf dieser falschen Annahme gründet, ist auch falsch. Insbesondere gilt, daß man dann, wenn man mit „dem Bewusstsein“ eines Menschen kommuniziert, natürlich auch immer „das Unterbewusstsein“ primär mit dabei hat. Dazu nun mehr.

Zuerst ist das Unbewusste

Herr Künzel nimmt an, daß (im Wachzustand) alle Informationen erst mal „in das Bewusstsein“ kommen. Dort werden sie nach seinem Dafürhalten erst einmal vorselektiert und gefiltert, und manche werden von da aus dann ans Unterbewusstsein weitergeleitet und manche nicht. Das Bewusstsein wäre dem Unterbewusstsein somit gewissermaßen „vorgeschaltet“.

Nur bei der Hypnose könne man „das Unterbewusstsein“ direkt ansprechen, weil ja hier dann das Bewusstsein (fast) weg sei. (Ausnahme Wachhypnose: Da könne man das Unterbewusstsein direkt ansprechen, auch ohne Präkoma.)

Das ist natürlich grundfalsch, vor allem, wenn man einen so allgemeinen Befriff des „Unterbewusstseins“ zugrundelegt wie offenbar Künzel, und da sämtliche nicht-bewussten Prozesse darunter versteht.

Wir nehmen nämlich jede Sekunde viel mehr Informationen auf und verarbeiten sie unbewusst, als wir bewusst registrieren. Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser,  werden jetzt beim Lesen vermutlich beispielsweise nicht gerade auf die Raumtemperatur geachtet haben, und auch nicht auf das Gefühl in Ihrer linken Hand. Welche Informationen bewusst werden, wird wesentlich durch unterbewusst arbeitende Kontroll-Systeme „vorentschieden“. Und nur wenige Stimuli gelangen bis ins Bewusstsein.

So schreibt Lemke:

„Es gibt anscheinend generell ein nichtbewusstes Wahrnehmen vor dem bewussten Wahrnehmen, einschließlich einer Entscheidungsinstanz, welche die Fülle der möglichen Wahrnehmungen auf Bewusstseinstauglichkeit vorsortiert. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Cocktailpartyphänomen, welches beschreibt, dass relevante Reize wahrgenommen werden, auch wenn sich die Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. Wenn jemand auf einer Cocktailparty in ein Gespräch vertieft ist und die anderen Gäste und deren Gespräche dadurch quasi nicht wahrnimmt, kann plötzlich die Aufmerksamkeit auf bisher nicht beachtete Gespräche fallen, wenn der eigene Name fällt. Es wirkt so, als ob eine nichtbewusste Aufmerksamkeit dem gesamten Geschehen folgt, um es auf wichtige Informationen hin zu überprüfen. So gelangt auch Nils Birbaumer in seinem Lehrbuch für biologische Psychologie zu dem Schluss, ‚… dass die ankommende Information vor ihrer Selektion relativ vollständig und unbewusst analysiert und beurteilt wird'“ (Lemkes Text ist relativ anspruchsvoll, aber deutsch und eignet sich aber auch zum Beleg für andere Aussagen, die ich hier mache.)

Für die Tatsache, daß unbewusste Prozesse die bewussten begleiten und ihnen vorausgehen, spricht auch eine bestimmte Form der Forschung mit Subliminals: Stimuli werden nur ganz kurz präsentiert, zu kurz, um bewusst registriert zu werden. Und doch werden sie aufgenommen und verarbeitet, noch bevor sie „ins Bewusstsein“ gelangen, bzw. in diesem Fall sogar, ohne daß sie überhaupt bewusst werden!

„Das Unterbewusstsein“ ist also immer „vorgelagert“, und jede Information, die ins Bewusstsein kommt, kommt in gewissem Sinne zuerst ins Unterbewusstsein.

Überhaupt sind bewusste Prozesse allgemein in nicht-bewusste Prozesse „eingebettet“, ohne die sie nicht sein könnten: Die nicht-bewussten Prozesse ermöglichen bewusstes Erleben überhaupt erst. Dazu wieder Lemke, mit dem Beispiel Erinnerung:

„Die Operationen des Gedächtnisses beim Einspeichern, Speichern oder Abrufen liegen außerhalb des Bewusstseins. So kann der Geburtsname der eigenen Mutter bewusst werden, doch der Suchprozess bleibt nichtbewusst (Neuweg 1999, S. 77).“

Das sollte einsichtig sein: Man versucht, sich an etwas zu erinnern, aber die genauen Prozesse, die dann zur Erinnerung führen, nimmt man nicht wahr. (Lemke weist hier auch auf die Aussage des Gehirnforschers Gerhard Roth hin, laut dem 90% der Vorgänge im Gehirn unterbewusst sind und nur 10% bewusst werden.)

Es wäre leicht möglich, hier noch weitere Beispiele anzuführen (einige finden sich in Lemkes Text, den ich gerade verlinkt habe). Aber das sollte zur Illustration erst einmal genügen.

All das – und vieles mehr – zeigt, wie unsinnig Künzels Meinung ist, daß alle Informationen erst mal ins Bewusstsein kommen, um dann im Fall des Falles (hoffentlich) auch noch das Unterbewusstsein zu erreichen. Es ist also das Gegenteil von dem, was Künzel schreibt, der Fall:

Nicht das Bewusstsein filtert alle Eindrücke, die ins Unterbewusstsein gelangen, sondern das Unterbewusstsein filtert alle Eindrücke, die ins Bewusstsein kommen!

Dieser Umstand illustriert auch, wie falsch Künzels Auffassung ist, daß man „das Bewusstsein“ quasi „auschalten“ müsse, um dadurch überhaupt erst Zugriff zum „Unterbewusstsein“ zu erhalten!

Man könnte mir jetzt entgegenhalten, daß das wohl ein etwas weiter Begriff des „Unterbewusstseins“ ist, den ich hier benutze, und daß ich verschiedene Formen des Unterbewusstseins nicht unterscheide. Aber ich übernehme hier nur die simple Schematisierung von Künzel,  der alle unbewussten Prozesse zu dem einen „Unterbewusstsein“ zusammenpresst.

Es sollte aus dem Gesagten außerdem klar geworden sein, was ich im letzten Kapitel ausgeführt hatte: Es gibt nicht zwei verschiedene Wesen, eines namens „Bewusstsein“ und eines namens „Unterbewusstsein“. Vielmehr gibt es den einen menschlichen Geist, der bewusst und unterbewusst arbeitet, wobei bewusste und unterbewusste Prozesse in einander greifen.

Kognitive Kontrollsysteme und Hypnose

In der kognitiven und Neuropsychologie hat sich folgendes Modell etabliert: Es existieren verschiedene Kontrollsysteme, die Informationen verarbeiten und das menschliche Verhalten regulieren. So gibt es untergeordnete Kontroll-Systeme, die Routine-Aufgaben bewältigen und  die keine oder wenig Aufmerksamkeit erfordern; ihre Steuerung erfolgt unbewusst. Hierzu gehört beispielsweise das Fahrradfahren (wenn man es einmal gelernt hat): Man muss nicht jede Kleinigkeit überlegen und ständig auf das Fahren achten, jedenfalls nicht auf eine einfachen Strecke.

Für Planung,  das Durchbrechen von Gewohnheiten, die Gestaltung von neuem Verhalten und das abstrakte Denken ist hingegen die sog. „exekutive Kontrolle“ zuständig. Die exekutive Kontrolle arbeitet oft bewusst, jedoch nicht immer. Die exekutiven Funktionen sind in besonderer Weise mit dem Mensch als Person verbunden, der intelligent und motiviert sein Verhalten kontrolliert.

Das (oftmals bewußt arbeitende) exekutive Kontrollsystem führt nicht selbst direkt Handlungen aus, sondern steuert hierzu die untergeordneten (und unbewusst arbeitenden) Kontrollsysteme. Ebenso gelangen Informationen nicht unmittelbar ins Exekutive Kontrollsystem, sondern erst in untergeordnete (und unbewusst arbeitende) Kontrollsysteme. So wird übrigens noch einmal deutlich, was wir oben gesagt hatten: Daß bewusste Prozesse auf unbewussten beruhen, und daß bewusste und unbewusste Prozesse zusammenwirken.

Was sich klar zeigt, ist die  Tatsache, daß bei der Hypnose das exekutive Kontrollsystem präsent ist und tätig wird, sobald dies gefordert ist. Bei der Umsetzung ziemlich vieler Suggestionen (wie Halluzinationen)  ist das exekutive, zentrale Kontrollsystem offenbar sogar direkt beteiligt Das weiß man aus verschiedenen psychologischen Tests, aber auch neurophysiologischen Messungen. (Siehe etwa den Artikel „Exekutive Kontrolle„, der m.E. mittel leicht verständlich ist.)

Und im Grunde ist das auch klar: Wenn ein Hypnotisierter irgendeine anspruchsvollere neue Aufgabe erledigen soll, etwa indem er bei einer hypnotischen Persönlichkeitsänderung eine andere Person verkörpert, dann geht das nur mithilfe von Intelligenz und Exekutiver Kontrolle.

Warum ist das so wichtig? Weil es zeigt, daß der Hypnotisierte weit davon entfernt ist, ein Automat zu werden, der „kritiklos“ oder „entscheidungsunfähig“ irgendwelche Suggestionen aufnimmt. Ganz im Gegenteil: Hypnotisches Reagieren ist intelligent. Wir kommen gleich noch darauf zurück.

Ob kognitive Vorgänge nun bewusst oder unbewusst ablaufen, ist eigentlich zweitrangig. Viel wichtiger ist, daß das exekutive Kontrollsystem bei der Hypnose funktioniert und sogar oft selbst aktiv wird. Da Kritik- und Entscheidungsfähigkeit nicht  „am Bewusstsein“ hängen, sondern in höheren kognitiven Systemen bis hin zur Exekutiven Kontrolle gründen, wäre es letztlich übrigens sogar ziemlich egal, wenn das Bewusstsein bei der Hypnose  tatsächlich extrem „eingeschränkt“ oder komplett komatös wärde (was aber ja nicht der Fall ist, auch wenn Künzel uns das glauben machen will).

Die hypnotisierte Person bliebe also selbst dann sie selbst, und ihr Verhalten auch weiterhin intlligent und mit ihrer Persönlichkeit verbunden! Wir hätten auch dann keinen Automaten vor uns!

Kritikunfähigkeit: 1

„Kritikunfähigkeit“ soll zum einen wohl bedeuten, daß die (tief) hypnotisierte Person Realität und suggerierte Vorstellung nicht mehr unterscheiden kann, und zum Zweiten, daß er alle Suggestionen akzeptiert.

Hier soll es erst mal um die erste Bedeutung gehen, also „Kritikunfähigkeit“ verstanden als die Unfähigkeit, die Realität zu erkennen und angemessen auf sie zu reagieren.

Wie sehr der Hypnotisierte in der Tat zur Realitätsprüfung in der Lage ist, zeigt beispielsweise die Tatsache, daß das „Subjekt“ nicht nur auf die unmittelbare Suggestionen des Hypnotiseurs reagiert, sondern auf den Gesamt-Kontext, auf die Gesamtsituation. (So werden beispielsweise zwei „Subjekte“ auf dieselbe Suggestion  in einem klinischen und einem Show-Kontext oftmals jeweils anders reagieren, und zwar auch dann, wenn sie beide „gleich tief“ hypnotisiert sind: Auf der Bühne wird das Verhalten eher dramatischer und auffälliger sein als im klinischen Setting.)

Diese Anpassung des Verhaltens setzt ein aktives Mitdenken voraus, das auch unterbewusst erfolgen kann. (Siehe für weitere Ausführungen und Beispiele etwa diesen Artikel zur Bedeutung von Setting und Metasuggestionen; recht einfach lesbar.)

Es sollte hier aber wenigstens noch kurz ein Beispiel gegeben werden, das womöglich auch Herrn Künzel etwas sagt. Nehmen wir an, einem Probanden wird bei der Showhypnose suggeriert, daß der Besen vor ihm eine tolle Frau sei, mit der er tanzen solle. Ein hinreichend „tief hypnotisierter“ Teilnehmer wird der Suggestion nachkommen. Er wird dann allerdings den Besen nicht auf die Art umgreifen, wie er das mit einer Tanzpartnerin machen würde. Dann fände der Besen nämlich keinen Halt, und die ganze Nummer würde nicht funktionieren. Der Hypnotisierte umfasst den Besen vielmehr so, wie man einen Besen eben umfassen muss.

Wenn Künzel das erklären wollte, käme der da vermutlich nicht weit. Denn da das Unterbewusstsein, das die Suggestion umsetzt, nach Künzel ja völlig unkritisch ist, Illusion und Realität also nicht zu unterschieden vermag,  müsste der Proband den Besen auch in jeder Hinsicht wie einen Menschen halten und behandeln, nicht wie einen Besen! Alles andere würde ja voraussetzen, daß der Proband die Wirklichkeit auf unterbewusster Ebene weiterhin nicht nur erkennt, sondern auch intelligent und adäquat auf sie reagieren kann, oder anders gesagt: Daß es sehrwohl „kritikfähig“ ist.

Und genau das ist die Lösung: Was hier vom Probanden gefordert ist, ist nicht weniger als ein komplexes Gesamt-Raktionsmuster auf meheren Ebenen, das nicht nur einen erhaltenen Realitätsbezug voraussetzt, sondern auch die Fähigkeit, alle relevanten Informationen integriert zu verarbeiten (auf unterbewusster Ebene).

Mit „Kritikunfähigkeit“ hat das nichts, aber wirklich überhaupt nichts  zu tun.  Wäre der Hypnotisierte „unkritisch“, also nicht an der tatsächlichen Situation orientiert, dann könnte er auf solche und viele vergleichbare Suggestionen nicht angemessen reagieren.

Es gilt allgemein: Das Verhalten Hypnotisierter ist situationsangemessen, intelligent und oft sogar  individuelle-kreativ. Dies ließe sich an vielen weiteren Beispielen zeigen, was hier jedoch den Rahmen sprengen würde.

Braids Auffassung des Hypnotisierten als wacher, motivierter Person, die auch auf implizite Suggestionen reagiert, deckt sich also gut mit den Ergebnissen der Hypnose-Forschung. (Ich rede hier natürlich vom echten Braid, nicht vom Möchtegern.)

Kritikunfähigkeit: 2

Daß der „tief Hypnotisierte“ schlichtweg alle Suggestionen akzaptiert, ist in dieser Allgemeinheit natürlich auch unrichtig. Es mag sein, daß er oft alle Suggestionen annimmt, die im Grunde für ihn bedeutungslos sind, wie etwa auf einer Showbühne.

Wenn es aber um Veränderungen geht, die wirklich wichtig sind (Gewichtsreduktion, mit dem Rauchen aufhären usw.), dann reicht es eben oft nicht, jemanden einfach nur tief zu hypnotisieren, ihm dann Suggestionen zu geben und darauf zu vertrauen, daß diese unkritisch vom Unterbewusstsein akzeptiert und umgesetzt werden. Schön wär’s.

Ansonsten wären komplexere Techniken wie beispielsweise Hypnoanalyse oder Teilearbeit übrigens auch völlig unnötig und sinnlos: Ist der Klient nur tief geug hypnotisiert, würde sein Unterbewusstsein alle Suggestionen akzeptieren, abspeichern und bedingungslos umsetzen. Daß es so einfach leider oft nicht ist, sollte eigentlich sogar Künzel wissen.

Zudem ist der statistsiche Zusammenhang zwischen „Tiefe“ (Suggestibilität) und Therapieerfolg generell nicht sehr hoch, wie verschiedene Studien belegen („Abstract„). Es kann also durchaus sein, daß jemand, der nur ganz leicht hypnotisiert ist, aufgrund einiger weniger Suggestionen dauerhaft gesundet und dramatische Fortschritte zeigt, aber ein „tief Hypnotisierter“ nicht.

Wenn jetzt ein tief hypnotisierter Klient trotz aller Suggestionen in „tiefer Trance“ nicht einfach mit dem Rauchen aufhört, woran liegt das dann? Am Bewusstsein? Entscheidet es sich bewusst dafür, teueres Geld zu bezahlen, um dann doch immer wieder zu rauchen? Sicher nicht.

Und wo kommt sein Bedürfnis nach dem Rauchen her? Entscheidet er sich bewusst und sagt sich: „So, jetzt will ich aber einen sehr starken Drang haben, mir wieder eine Zigarette anzuzünde“? Auch das nicht.

Die Kritik oder der „Widerstand“ kommt hier eindeutig von unbewussten Ebenen und mag verschiedene Gründe haben.

Könnte man einfach das Bewusstsein ins Koma bringen, um dann einem völlig unkritischen und willfähigen Unterbewusstsein beliebig alles zu suggerieren, dann wären Therapie und Lebenshilfe jedenfalls bei „tief Hypnotisierten“ die einfachste Sache der Welt.

Die menschliche Psyche ist eben weit komplexer, als ein Wolfgang Künzel sich das vorstellt; und die Prozesse bei Hypnose und Hypnotherapie sind weit anspruchsvoller als das „Programmieren eines Computers“, auch wenn letzteres dem Künzelchen Verständnis-Horizont entspricht.

Ungeachtet all des Gesagten mag es in einem gewissen Sinne  eine Grundlage dafür geben, im Zusammenhang mit der Hypnose  vom „Umgehen der kritischen Fakultät“ zu sprechen (auch wenn diese Redeweise etwas missverständlich sein mag). Eine Person mag beisielsweise  unter einschränkenden Mustern, limitierenden Glaubenssätzen, Blockaden usw. leiden, die es ihr erschweren, ihre Einstellungen so zu verändern, wie sie es sich wünscht. Und die Hypnose mag dabei helfen, solche Hindernisse zu überwinden.

Dabei ist die „kritische Fakultät“ aber natürlich keineswegs speziell „im Bewusstsein“ oder „im Unterbewusstsein“ lokalisiert, sondern im menschlichen Geist überhaupt. Daß der „kritische Faktr“ ganz wesentlich auch im Unterbewusstsein „wurzelt“, dürfte aus dem bisher Gesagten bereits klar sein. Aber es ist auch nicht schlichtweg egal, was im „Bewusstsein“ des Menschen passiert. Bereits die Tatsache, daß spontane Amnesien für traumatische Ereignisse auftreten können, die den bewussten Zugriff auf Informationen verhindern (welche unbewusst aber ja weiter „da“ sind), spricht für die Bedeutung des bewussten Denkens und Erlebens. Zudem kann man Bewusstsein und Unterbewusstsein ohnehin nicht trennscharf auseinanderdividieren (s.o.).

Das „kritsche Bewusstsein“ zu umgehen, mag dann heißen, daß der Hypnotisierte Suggestionen oder Interventionen nicht kritisch bewusst hinterfragt, sondern „mitgeht“ und sich ganz auf das Geschehen einlässt. Auch wenn Kiritk und Widerstand im Ericksonschen Sinne „utilisiert“ werden können, so wäre das wohlverstandene „unkritische“ Mitgehen doch wohl erst mal die neheliegendste Form der „Kooperation“ des Hypnotisierten.

Das alles hat dann aber mit dem Künzelschen Präkoma natürlich nicht mehr viel zu tun.

Aktive Reaktion

Künzel ist der Auffassung, daß nur bei der „Ericksonchen Hypnose“ Bilder und Gefühle genutzt werden, nicht jedoch in der klassischen Hypnose. Allein mit dieser Behauptung (siehe ganz oben) belget er seine erschreckende Unkenntnis gerade auch der klassischen Hypnose. In der klinischen Hypnose- ob klassisch oder ericksonianisch – wird natürlich generell oft mit Bildern und Gefühlen gearbeitet.

Künzel denkt jedoch, daß Bilder und Gefühle nur eine Sache des Bewusstseins seien; und da der „tief Hypnotisierte“ seiner Meinung nach ja quasi-komatös ist, wäre demnach für Bilder, aktive Konzentration usw. kein Platz mehr. Stimmt das?

In einer bestimmten Hinsicht kann man sagen, daß das hypnotische Reagieren vom „Unterbewusstsein“ herkommt. Bei hypnotischen Reaktionen spielt jeweils ein Aspekt von „Unbewusstem“ bzw.  Dissoziation eine besondere Rolle:

Das Reagieren auf eine Suggestion wird entweder als mühelos/unwillkürlich erlebt; oder die Handlung wird nicht bewusst registriert, obwohl sie ausgeführt wird; oder die Ursache für sie ist (aufgrund von Amnesie für die Suggestion) dem Hypnotisierten nicht bewusst. Die beiden letzten Formen findet man insbesondere im Kontext der posthypnotischen Suggetion.

„Unwillkürlichkeit“ ist dabei nicht dasselbe wie „Passivität“: Viele Hypnotisierte benutzen ihre Konzentration und Imagination, um die hypnotischen Prozesse zu unterstützen. So kann sich jemand bei einer Levitation vortsellen, wie der Arm sich hebt, ohne ihn willkürlich anzuheben.

Manche Probanden erleben das Reagieren auf hypnotische Suggestionen dagegen als völlig passiv; aber aus dem weiter oben Gesagen sollte klar sein, daß diese subjektive Seite des Erlebens eigentlich zweitrangig ist. So oder so lässt sich nämlich sagen, daß hypnotisches Verhalten reflektiert und auch motiviert ist. Reflexion und Motivation müssen nicht bewusst sein, aber sie müssen dennoch präsent sein. (Siehe auch den recht relativ gut verständlichen, aber längeren Artikel  „Die Bedeutung der Motivation für die Hypnose„.)

Ziemlich viele Hypnotisierte konzentrieren sich aber sogar durchaus bewusst auf die Suggestion oder benutzen sogar ihre Vorstellungskraft auf komplexere Weise, um einen suggerierten Effekt zu realisieren.

Hypnotisches Reagieren ist oftmals von einer Mischung aus bewussten und unbewussten Akten geprägt, von Aktivität und Passivität, wie schon Bernheim feststellte. Untersuchungen etwa von Comey & Kirsch („Abstract„) sprechen zudem dafür, daß die meisten „erfolgreichen“ Probanden selbst bei schwierigen Suggestionen (wie Halluzinations-Items) das Gefühl haben, den suggerierten Effekt absichtlich/willentlich durch ihre Konzentration zu erzeugen. (Es sei nur kurz angemerkt, daß die von Comey und Kirsch benutzte Hypnose-Skala CURSS sowohl von der Induktion wie auch von den Suggestionen her klassisch und direkt ist. Dasselbe gilt für alle üblichen standardisierten Hypnosetests wie etwa auch HGSHS:A oder SHSS:C, denn man bemüht sich um eine möglichst einfache, genorme Vorgehensweise.)

Bryant und McConkey führten verschiedene Experimente zu negativen visuellen Halluzinationen und hypnotischer Blindheit durch.  Diejenigen Probanden, die eher konstruktiv und aktiv etwas taten, um den suggerierten Effekt zu erleben, also etwa ihre Vorstellungskraft sponatan und selbstbestimmt benutzten, wurden mit denen verglichen, die sich einfach nur auf die Suggestion konzentrierten. Wie auch in anderen Untersuchungen waren diejenigen, die aktiv-konstruktiv reagierten, im Schnitt eher „besser“ bei der Erzeugung schwieriger hypnotischer Phänomene als die anderen („Abstract„). (Und auch bei diesen Erhebungen wurde klassische Hypnose verwendet.)

Ich könnte noch weitere Beispiele anführen, lasse es aber damit bewenden. Die Tatsache, daß auch viele „tief“ Hypnotisierte ein bewusstes „Engagement“ erleben, um Suggestionen zu verwirklichen, steht natürlich völlig im Gegensatz zu Künzels Überzeugungen; denn er glaubt ja, daß das Unterbewusstsein ganz allein auf Suggestionen reagiere, schon deswegen, weil das Bewusstsein ja fast „weg“ sei.

Aber die von mir zitierten und verlinkten Forschungen kann es außerdem ja eigentlich auch gar nicht geben: Denn die Hypnoseforscher sind ja ohnehin allesamt hirnamputierte Volldioten, die gar nicht wissen, daß es so etwas wie “tiefe” hyonotische Phänomene wie etwa negative Halluzinationen überhaupt gibt (Art. 2). Die kennen ja eh alle nur die beschissene Erickson-Hypnose mit dem Blabla und Märchenerzählen, mit der man eh nichts Gescheites machen kann (Art. 3). Die müssen daher erst mal alle zum Künzel, damit sie überhaupt eine Ahnung bekommen, was Hypnose  eigentlich ist.

Zusammenfassung

Künzels Modell der Hypnose ist grundlegend falsch. Im Kontrast zu Künzels Thesen gilt nämlich:

1.  Der (tief) Hypnotisierte ist keineswegs (prä)komatös. Vielmehr ist er wenn schon eher absorbiert und erlebt faszinierende Veränderungen des Bewusstseins.

2. Das „Unterbewusstsein“ und das „Bewusstsein“ gibt es streng genommen nicht; es gibt den Menschen, der teils unterbewusst und bewusst denkt und handelt.

3. Unterbewusste Prozesse gehen den bewussten voraus, und nur wenige Informationen/Stimuli erreichen das Bewusstsein überhaupt.

4. Es kann aus diesen Gründen nicht die Rede davon sein, daß man das Bewusstsein durch die Hypnose erst mal ausschalten müsse, um dann „das“ Unterbewusstsein „direkt“ beeinflussen zu können; insbesondere dann nicht, wenn der Begriff des Unterbewusstseins“ so weit gefasst wird, daß alle nicht-bewussten Prozesse darunter fallen.

5. Bei der Hypnose sind Systeme höhere kognitiver Kontrolle aktiv, und sie sind nicht auf Bewusstheit angewiesen.

6. Der Hypnotisierte bzw. „sein Unterbewusstsein“ ist nicht „unkritisch“.  Ohne den erhaltenen Ralitätsbezug wären vielmehr viele Suggestiv-Phänomene gar nicht möglich. Auch nimmt der Hypnotisierte nicht einfach alle Suggestionen auf.

7. Bei der Hypnose gehen aktives und passives Erleben typischerweise Hand in Hand.

8. Selbst  bei schwierigen Phänomenen wie positiven und negativen Halluzinationen versuchen viele gute Hypnotisierte (erfolgreich), den suggerierten Effekt durch bewusst-willentliche Konzentration und Vorstellung zu erzeugen.

Resümee

Unsere Analyse des Künzelschen Hypnose-Modells hat detailliert aufgezeigt, daß Künzels grundlegende Vorstellungen von der Hypnose samt und sonders falsch sind.

Künzels Konzeption ist in vielerlei Hinsicht fundamental irreführend und zudem oftmals erstaunlich naiv und unreflektiert. Sie steht im eklatenten Gegensatz zu den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und der Neurowissenschaften und ist daher als unwissenschaftlich einzustufen. Künzels „Theorie“ ist außerdem unvereinbar sogar bereits mit den älteren Entwicklungen in der Hypnose, die vor und unabhängig von Erickson stattfanden; erst recht aber natürlich ist sie unvereinbar mit den Erkenntnissen der Hypnoseforschung. (So unglaublich es klingen mag: Künzel weiß offenbar noch nicht einmal, daß es neben der klinischen Hypnose überhaupt so etwas wie eine Hypnosewissenschaft gibt, und daß die mit klassischer Hypnose arbeitet; siehe Art. 2.)

Soweit einige von Künzels Behauptungen überhaupt je eine gewisse Grundlage besessen haben mögen, ist diese schon seit vielen Jahrzehnten komplett weggebrochen (und zwar auch hier vor und unabhängig von Erickson).

Künzels Modell muss somit als empirisch widerlegt und unhaltbar gelten: Unter neuro-, kognitions- und hypnosewissenschaftlichen Gesichtspunkten können Künzels Vorstellungen als abwegig und obsolet betrachtet werden.

Selbst wenn man ausdrücklich in Rechnung stellt, daß allgemein einige Irrtümer über die Hypnose eine gewisse Verbreitung haben, so gehen Künzels Missverständnisse doch deutlich darüber hinaus und stechen ganz besonders durch ihre grundlegende Falschheit und Antiquiertheit hervor.

Der Mann, der angeblich die deutsche Hypnoseforschung begründet hat, hat leider wieder einmal selbst von den grundlegendsten Sachverhalten keine Ahnung. (Vgl. auch Art. 46 und Art. 32)

Dabei wäre es eigentlich ganz leicht, zu erkennen, daß Künzel Unrecht hat, auch für ihn selbst. Er müsste nur mit ein paar guten hypnotischen Probanden sprechen, während der Hypnose und danach, und sie nach ihrer Erfahrung befragen. (Am Besten ohne, daß er explizit oder imlizit Amnesie suggeriert hat.) Dann könnte er leicht sehen, daß diese Leute weit davon entfernt sind, (prä)komatös zu sein.

Künzel aber glaubt seiner Theorie mehr als seinen Augen und Ohren, wie so viele. Dabei meint er auch noch, daß er sich auf seine Erfahrung stützen könne; in Wahrheit stützt er sich jedoch  auf eine Interpretation seiner Erfahrung, und zwar eine Fehlinterpretation.

Künzels Missverständnisse scheinen folgenden Grund zu haben: Er selbst kennt ja ganz offensichtlich fast nur uralte Literatur (außer dem Tepperwein). Und dort wird beispielsweise Hypnose oft implizit oder explizit als Schlaf oder Fast-Koma dargestellt. Und genau das ist der Wissens- und Verständnis-Horizont des Wolfgang Künzel – bis heute.

Was Künzel offenbar nicht realisiert, ist das Faktum, daß nicht nur Erickson, sondern auch die klassisch ausgerichtete Literatur und die klassisch arbeitende Hypnoseforschung längst jene Missverständnisse überwunden haben, die Künzel bis heute pflegt.

Künzel selbst hält die uralte Literatur für weit überlegen (Quelle); aber das verwundert nicht, da er offenbar die neuere Literatur praktisch überhaupt nicht kennt, und daher auch keinerlei Vergleichsmöglichkeiten besitzt.

Daß Künzel von der Ericksonschen Literatur nicht einmal die marginalsten Kenntnisse besitzt, sondern seine diesbezüglichen Ansichten praktisch komplett auf Missverständnissen beruhen, dürfte unstrittig sein und wurde insbsondere in den Artikel 2 und 11  dargelegt; leider hat Künzel aber auch von der neueren klassisch ausgerichteten anwendungsbezogenen Literatur so wenig Ahnung wie von der hypnosewissenschaftlichen.

Künzel glaubt, daß er für die klassische Hypnose stehe. Was er aufgrund seines allgemeinen und ausgeprägten Unwissens in Sachen Hypnose offenbar nicht merkt, ist, daß er tatsächlich für archaische Hypnose-Vorstellungen steht, die bereits Braid hinter sich gelassen hatte.

Man vergleiche beispielsweise nur einmal Dave Elman mit Künzel; beide waren/sind ehemalige Showhypnotiseure, beide lehr(t)en Hypnose, beide stehen für klassische Hypnose; dennoch ist Elman, obwohl seit Jahrzehnten tot, ungleich moderner als Künzel. (Ähnliches gilt auch für den Vergleich der noch nicht so lange verstorbenen (Ex-)Showhypnotiseure Gil Boyne und Ormond McGill mit Künzel.)

Damit will ich nicht sagen, daß Künzel ein schlechter Hypnotiseur und ein schlechter Lehrer wäre, und dazu kann ich mich auch nicht äußern. (Von den Videos her habe ich sogar den Eindruck, daß er ein recht guter Hypnose-Lehrer ist, jedenfalls für die „Basics“.)

Ich bin außerdem durchaus der Meinung, daß Künzel von seinem Wissen her deutlich weiter sein könnte, als er es heute ist; aber das würde Lernbereitschaft voraussetzen. Dazu müsste Künzel aber seine Attitüde des Super-Experten aufgeben, der als einziger alles weiß, während der Rest der Welt in unendlicher Dummheit und Inkompetenz versinkt. Er müsste bereit sein, sein Wissen zu erweitern und zu vertiefen, und Irrtümer zu korrigieren. Intelligenzmäßig könnte er das, aber aus psychischen Gründen kann er das offenbar dennoch nicht. Und so bleibt Künzel eben lieber dabei, daß er als einziger Bescheid weiß, während alle anderen ahnungslose Nullen sind.

Solange Künzel bei dieser Haltung bleibt, wird er weiterhin ein Hypnotiseur mit außergewöhnlicher Unwissenheit bleiben, dessen Überzeugungen durch außerordentliche Missverständnisse „hervorstechen“.

Einige Künzel-Anhänger werden mir vielleicht entgegen, daß alle Wissenschaftler samt und sonders durch die Bank totale Vollidioten sind, die von absolut nichts eine Ahnung haben, und daß nur Künzel als einziger Mensch auf der Welt etwas von Hypnose und der Struktur der menschlichen Psyche versteht.

Meine Antwort geht so: Im Prinzip sind alle wissneschaftlichen Experimente relativ gut beschrieben und alle Materialien öffentlich zugänglich. Die wichtigen Experimente werden gewöhnlich durch verschiedene Wissenschaftler in verschiedenen Ländern überprüft. Und wenn es vielleicht manchmal auch ein größerer Aufwand wäre, kann im Grunde auch jeder Nicht-Wissenschaftler dieselben Versuche durchführen und sich so aus erster Hand ein Urteil bilden.

Welche Argumente, die irgendwie überprüfbar sind, bietet uns hingegen Künzel an? Das einzige „Argument“, das Künzel uns nennt, lautet doch, daß man ihm gefälligst alles blind glauben soll, weil er doch so toll ist und alle anderen ahnungslos.

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