70. Wolfgang Künzel und die Negation

Der ehem. Showhypnotiseur Wolfgang Künzel aka Alexander Cain stellt zu gerne seine Kollegen als unfähig und sich selbst als (nahezu) einzig Wissenden dar. Das tut er oft und in vielen Dingen – besonders aber auch im Zusammenhang mit der „Negation in der Hypnose“.

Künzel setzt hierbei alles daran, den Eindruck zu erwecken, praktisch allgemein und überall werde behauptet, dass „das Unterbewusstsein“ keine Negationen verstehe, und dass insbesondere auch die Hypnoseforschung dies so verkünde. So schreibt er:

„§1 Der Professor hat immer Recht!

§2 Sollte der Professor ausnahmsweise einmal nicht Recht haben, tritt automatisch §1 in Kraft.

Tatsache ist, dass das Unterbewusstsein sehr wohl mit Negationen umgehen kann.[…] Wäre das Wort der Bücher und Mediziner wahr, hätten schon viele Bühnen gesäubert werden müssen.“

Der Professor“, „die Bücher“ und die Mediziner.“ Man würde meinen, dass sowohl die wissenschaftliche Psychologie wie die klinische Hypnose ubiquitär die Auffassung vertreten, dass Hypnotisierte nichts mit Verneinungen anfangen können.

Noch deutlicher wird das in einem Video des „Meisters“ (vgl. Art. 73). Dort tönt Künzel:

„Ich verwende bei meinen Hypnose-CDs und Suggestionen gerne Negationen. Ha. Das geht doch gar nicht! Wie doof ist denn der Künzel, hier Negationen zu verwenden. Weiß jedes Kind, das erste, wenn man sich mit Hypnose, mit irgendwelchen Suggestionen befasst, ist doch: Das Unterbewusstsein versteht ’nein‘ und ’nicht‘ nicht. Und der Herr Professor hat das doch auch belegt….Das ja tausendfach abgeguttenbergt wurde. In allen Büchern steht das drin….Das ist ja Lehrmeinung bei den Medizinern.“

Wir sehen schon: Die ganze Welt, sämtliche Bücher (bis auf ein paar ganz alte), Professoren und Doktoren lehren einen großen Unsinn. Und dieser Unsinn ist auch noch das allererste, was der Neuling, der die Kunst der Hypnose erlernt, zu hören bekommt. Künzel ist der einzige auf weiter Flur, der dagegen hält. Er ist ein aufrechte Gallier, nein, ein ganzes gallisches Dorf in Personal-Union, das sich in heroischer Unbeugsamkeit gegen die übermächtige und omnipräsente Lüge wehrt! Und für seinen Heldenmut und seine Wahrheitsliebe wird Künzel dann zum Dank auch noch von allen Seiten attackiert!

So also sieht Künzel es. Aber stimmt das eigentlich?

Fangen wir mit einer ganz einfachen Fragen an: Wo wird es denn bitte behauptet, dass das Unterbewusstsein keine Negationen verstehe? In der wissenschaftlichen Literatur jedenfalls sicher nicht! Und in der gehobeneren klinischen Literatur wohl auch kaum, oder höchstens mal in einem ganz bestimmten und sehr eingeschränkten Sinne, der genauer spezifiziert wird (s.u). Aber selbst in der weniger „gehobenen“ klinischen und der „Laienliteratur“ findet sich jene Behauptung doch keineswegs so häufig wie Künzel das suggeriert, und gewöhnlich auch in einem ganz bestimmten Kontext.

Künzel suggeriert zwar, dass das Internet voll von der Behauptung sei, dass das Unterbewusstsein keine Negationen verstehe. Für „mein“ Internet jedenfalls scheint das nicht zu gelten. Wenn ich bei Googel die Suchwörter „Unterbewusstsein“ und „Negationen“ eingebe, so finde ich auf der ersten Seite fast nur Treffer, in denen erklärt wird, dass besagte These schlichtweg falsch oder höchstens in einem stark eingeschränkten Sinne wahr sei.

Sie jedoch, Herr Künzel, sprechen ich-weiß-nicht-wie-oft vom „Herrn Professor“, der so etwas verkünde. Nun, welcher Professor genau hat denn jemals Entsprechendes geäußert? Oder gar noch proklamiert, dass er das „belegt“ habe????  Können Sie mir auch nur einen solchen Professor nennen, Herr Künzel?

Künzel wird, wie ich ihn kenne (und liebe) auch künftig felsenfest behaupten, dass „der Herr Professor“ das sagt. Nur wie dieser ominöse „Herr Professor“ namentlich heißt wird er uns nie verraten, so oft wir ihn auch fragen. Weil dieser „Professor“ nur in seiner Fantasie existiert.

Herr Künzel, wollen Sie vielleicht, dass möglichst viele Menschen – Wissenschaftler eingeschlossen – sich in Irrtümern befinden? Im Gegensatz zu Ihnen? Ist Ihnen diese Vorstellung womöglich angenehm und willkommen?

Aber es geht noch dümmer, wie Künzel beweist:

„Denk jetzt nicht an einen rosa Elefanten. Ist er da? Siehst Du? Der Künzel erzählt hier Blödsinn […] Wenn ich sage: ‚Denk nicht an einen rosa Elefanten‘, dann kommuniziere ich doch gerade mit Deinem Wachbewusstsein, oder? Bist ja nicht in Hypnose. Also…und daraus schließ ich in wissenschaftlicher Corretness: Dein Unterbewusstsein kann keine Negationen verarbeiten. Ja, das ist aber mal toll, oder (lacht)? So funktioniert Wissenschaft.“

Nein, lieber Herr Künzel, genau so funktioniert Wissenschaft eben nicht. Bereits die Trennung von Bewusstsein und Unterbewusstsein, wie Sie sie hier zugrundelegen, werden Sie in dieser Art und Wortwahl wohl nirgendwo in der kognitiven Psychologie finden. Denn es existieren zwar bewusste und unbewusste Prozesse, aber „das Bewusstsein“ und „das Unterbewusstsein“ sind keine realen und „abtrennbaren“ Quasi-Subjekte. Vielmehr stellen solche Hypostasierungen nützliche Metaphern dar, die zwar ihre Berechtigung haben, die die Wirklichkeit aber nicht wissenschaftlich exakt beschreiben. Was es strenggenommen gibt, ist der eine Mensch, der bewusst und unbewusst denkt, und bei dessen Verständnis-Leistungen bewusste wie unbewusste Prozesse eine Rolle spielen – wobei auch die bewussten Vorgänge von den unbewussten gewissermaßen „getragen“ werden (vgl. Art. 47).

Und das Beispiel, das Künzel bringt, und das er dem „Herrn Professor“ als dessen angeblichen „Beleg“ unterschiebt, ist ohnehin völlig irreführend und beruht auf einem Künzelschen Missverständnis. Ein Satz wie „Denk nicht an einen rosa Elefanten“ ist natürlich witzlos und geradezu absurd, denn man kann nur dann einen Gedanken verneinen, wenn man ihn auch denkt.  Das ist trivial und bedeutungslos.

Nein, was Künzel wohl eigentlich meint,  ist die sog. „paradoxe Gedankenunterdrückung („paradoxical thought suppression“) nach Daniel Wegner. Dabei geht es darum, dass man für eine gewisse Zeit (etwa fünf Minuten) nicht an eine bestimmte Sache denken soll (z.B. Eisbären). Das Ergebnis ist, dass man stattdessen nach einiger Zeit in der Regel umso eher an Eisbären denkt. Dies hat aber offenbar nichts damit zu tun, dass man die fragliche Instruktion bewusst oder unterbewusst nicht richtig „verstanden“ hätte, sondern damit, dass es offenbar einen Mechanismus gibt, aufgrund dessen wir kontrollieren, ob wir eine Aufgabe meistern. Wir beobachten uns selbst dabei. Und dann denken wir eben an die Sache, an die wir nicht denken wollen. (Besagter Mechanismus allerdings ist der bewussten Kontrolle ersichtlich weitgehend entzogenen.)

In populären Vereinfachungen/Verfälschungen, auf die Künzel sich bezieht, wird dann genau das daraus, was Künzel vorstellt und kritisiert: „Denk nicht an einen rosa Elefanten – ah Du denkst doch daran. Also hast Du (bewusst oder unbewusst) meine Aufforderung nicht verstanden!“ Mit Wissenschaft hat das nun wirklich überhaupt gar nichts zu tun. Übrigens versteht Künzel die Sache auch noch insofern völlig miss, als er offensichtlich glaubt, dass hier „das Bewusstsein“ irgendetwas tatsächlich nicht „verstehe“.

Und auch das andere, was Künzel der Wissenschaft andichtet, ist natürlich eine Mär: Herr Künzel, zeigen Sie mir auch nur eine einzige hypnosewissenschaftliche Publikation, in der behauptet wird, dass Hypnotisierte keinerlei Negationen verstehen! Ganz offensichtlich verwechseln Sie hier laienhafte Darstellungen mit psychologischer Forschung, weil sie von Letzterer keine Ahnung  haben. Müssen Sie auch nicht – aber machen Sie nicht schlecht, wovon Sie nichts verstehen!

Was die Wissenschaft tatsächlich tut, wäre beispielsweise dies: Man hat etwa „wache“ Personen im Sinne der paradoxen Gedankenunterdrückung gebeten, einen bestimmten Gedanken nicht zu denken; und gleichzeitig hat man „tief hypnotisierten“ Probanden Amnesie für denselben Gedanken suggeriert. Oder man hat getestet, ob besonders gut hypnotisierbare Personen im „Wachzustand“ und ohne Bezug auf die Hypnose überdurchschnittlich erfolgreich darin sind, Gedanken zu unterdrücken. Auf diese Weise versucht man, die Mechanismen, die bewusstem Verdrängen vs. hypnotischer Amnesie zugrundeliegen, besser zu verstehen. Ergebnis: Verdrängen und hypnotische Amnesie haben offenbar wenig miteinander zu tun und beruhen auf anderen Mechanismen. Dies etwa ist Wissenschaft.

„Der Künzel erzählt hier Blödsinn – ja, oder der Herr Professor!“

In der Tat Sie, Herr Künzel, weil Sie dem Herrn Professor irgendeinen Nonsens in die Schuhe schieben. Aber das ist Ihnen wohl egal. Ihnen gibt es doch ein Hochgefühl, dass der Professor (vermeintlich) der Dumme ist und Sie es (vermeintlich) besser wissen. Oder wie ich es in Art. im Zusammenhang mit der Medizin (Art. 62) formuliert habe:

„Denn wenn er schon nicht zu denjenigen gehören kann, die beispielsweise in der Medizin ‚den Ton angeben‘, so will Künzel die entsprechenden Leute wenigstens ‚entlarven‘ und auf sein eigenes Maß zurechtstutzen. Die anderen sollen auch nicht mehr wissen oder kompetenter sein als er selbst…So kann er den Experten ihre Expertise absprechen und sich zu ihnen hoch erheben, ja, sich über sie erheben, indem er sie nach unten zieht. Er, Wolfgang Künzel, weiß es allemal besser als die vermeintlichen Fachleute, und er sagt im Gegensatz zu ihnen die Wahrheit. Denn Künzel lässt nichts und niemanden gelten, sofern dadurch nicht auch sein eigenes Geltungsbedürfnis bedient wird (siehe auch Art. 40 und 44).“

Wo kommt eigentlich die irreführende Behauptung über das Unterbewusstsein, das keine Negationen versteht, überhaupt her? Wo liegt ihr wahrer Kern?

Wenn man versucht, einen bestimmten Gedanken zu vermeiden, dann drängt er sich oft erst recht auf. Dies hat auch mit dem eben erwähnten Paradoxon zu tun. Deswegen wird oft angeraten, dass man nicht so sehr gegen das Negative ankämpfen als sich vielmehr dem Positiven zuwenden solle.

Zum anderen erzeugen abträgliche Gedanken (auch negierte) mitunter ungünstige Gefühle. Nehmen wir an, jemand leidet unter ausgeprägter Höhenangst. Dann sollte derjenige vielleicht besser nicht folgende Autosuggestionen benutzen: „Ich habe keine Angst, wenn ich in großer Höhe bin und nach unten schaue. Mir wird dann auch nicht schlecht, und ich habe nicht dieses mulmige Gefühl in der Magengegend, das ich sonst so deutlich wahrnehme. Ich fühle mich dann auch nicht beklommen, und mir wird auch nicht schwindelig.“

Auch wenn man etwas negiert, muss man es denken – s.o. Und wenn dieses „etwas“ stark „affektgeladen“ ist, besteht die Gefahr, dass mit dem fraglichen Gedanken eben auch negative Gefühle hochkommen. Natürlich mag es Fälle geben, wo solche Suggestionen dennoch gut funktionieren – aber die Gefahr ist doch, dass hier womöglich im schlimmsten Fall ein Problem noch verschärft wird.

In den erwähnten ganz speziellen Zusammenhängen und meist nur dort taucht dann auch manchmal die Aussage auf, dass „das Unterbewusstsein“ keine Negationen verstehe.

Sicher, diese Formulierung ist unglücklich, missverständlich und letztendlich in dieser allgemeinen Form falsch. Und insofern ist es auch nicht verkehrt, wenn man die Dinge geraderückt. Wir sollten uns aber klarmachen, dass eine solche Äußerung ohnehin keine präzise Aussage ist, sondern eine Metapher. Denn „das Unterbewusstsein“ als eigenständigen Agenten gibt es wie gesagt streng genommen so ohnehin nicht (s.o.). Und dass in vielen Situationen auch in der Hypnose Negationen durchaus sinnvoll gebraucht werden können, wird heutzutage doch (fast) niemand bestreiten. Es ist also wohl eher eine gewisse Gedankenlosigkeit bei der Formulierung, die man in vielen Fällen wird rügen können. Bei aller Kritik sollte man also differenzieren und fair bleiben.

Man kann es aber natürlich auch ganz anders halten und versuchen, möglichst viele Leute möglichst schlecht aussehen zu lassen. Man kann versuchen, bei so vielen Personen wie möglich einen maximalen Irrtum zu diagnostizieren.

Herr Künzel, merken Sie nicht oder wollen Sie nicht merken, dass Sie in großen Teilen einen Pappkameraden angreifen? Dass Sie ein paar unglücklich formulierte oder auch falsche Aussagen zum Anlass nehmen, um mehr oder weniger alle Ihre Kollegen – in Ihren Augen sind das wohl eher „Konkurrenten“ oder gar „Feinde“ – als inkompetent erscheinen zu lassen? Denn Sie tun ja so, als würden praktisch jeder Hypnotiseur und jedes Buch jenem Irrtum erliegen, den Sie so beglückt geißeln. Und dass Sie dabei gleich auch noch die Wissenschaft zu Unrecht zu diskreditieren suchen, fällt Ihnen das nicht auf? Merken Sie wirklich nicht, dass Sie sich selbst mal wieder zur Geltung bringen, indem Sie andere abwerten? So, wie Sie das so oft machen, im Kleinen wie im Großen (Art. 67)?  Oder ist ihnen das egal und meine Frage einfach nur naiv?

Dennoch muss ich, auch wenn es mir widerstrebt, Künzel doch in einem recht geben: Es werden leider viele höchst problematische oder sogar wirklich falsche Aussagen zur Hypnose auch von Seiten von Ärzten und Psychologen getätigt, und das nicht unbedingt ganz selten. Das hat jedoch nicht, wie Künzel in seiner Unwissenheit glaubt, mit der Hypnoseforschung zu tun, sondern im Gegenteil eher mit deren mangelhafter Rezeption auch durch Kliniker. Und Künzel braucht sich in diesem Zusammenhang nun wahrlich auch nicht aus dem Fenster zu lehnen: Auch wenn er mit den Negationen in gewisser Weise recht hat, so hat er in unzähligen anderen Fällen unrecht und befördert das eine Missverständnis um das andere! Ich könnte, um dies zu belegen, jetzt zahlreiche Artikel dieses Blogs verlinken, aber das hat wenig Sinn. Müsste ich doch das halbe Blog aufführen! (Es sei hier aber beispielhaft verwiesen auf die Artikel 2, 32, 47, 52 und 66.)

Künzel stilisiert sich mal wieder zum Aufklärer, der als (nahezu) einziger die Wahrheit sagt und gegen die kollektive Verblödung kämpft (Art. 20). Warum zeichnet er das Verhältnis zwischen sich und den anderen so? Wieso sieht er die Dinge so? Weil er sie genauso sehen will!

Letztlich kann man sagen: Künzel macht, wenn es um die Negation bei der Hypnose geht, mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten. Denn eine Mücke zu besiegen und zu schlachten ist nicht ergiebig und bringt wenig Ruhm ein. Bei einem Elefanten hingegen sieht das schon besser aus – ob der nun rosa ist oder nicht.

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